Aktuell Afghanistan 05. März 2023

Afghanistan: UN-Ermittlungsmission muss Menschenrechtsverletzungen der Taliban untersuchen

Das Bild zeigt eine Menschenmenge, vor allem Frauen, mit Protestplakaten

"Afghanische Frauen gegen die Taliban": Protestaktion der afghanischen Community in der kandadischen Stadt Edmonton (Archivaufname).

In Afghanistan begehen die Taliban systematisch Menschenrechtsverletzungen. Betroffen sind vor allem Frauenrechtler*innen, Akademiker*innen und Aktivist*innen. Der UN-Menschenrechtsrat muss unverzüglich eine internationale Ermittlungs- und Beweissicherungsmission einrichten. Nur so können unabhängige Ermittlungen und strafrechtliche Verfolgungen ermöglicht werden.

In den vergangenen Monaten haben die Taliban zahlreiche Frauenrechtler*innen, Akademiker*innen und Aktivist*innen rechtswidrig inhaftiert. Viele wurden willkürlich festgenommen, ohne Rechtsbeistand oder Zugang zu ihren Angehörigen. Vermutlich wurden sie inhaftiert, weil sie öffentlich die Politik der Taliban kritisiert haben.

Im Rahmen der 52. Sitzung des Menschenrechtsrats am 6. März stellt der UN-Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte in Afghanistan einen neuen Bericht vor. Amnesty International fordert die UN-Mitgliedstaaten auf, ein Ende der Straflosigkeit anzustreben und Gerechtigkeit für die Betroffenen von Menschenrechtsverstößen durch die Taliban zu gewährleisten.

Der UN-Menschenrechtsrat sollte zudem bald einen unabhängigen Ermittlungsmechanismus in Afghanistan einrichten, der sich auf die Beweissicherung konzentriert, um internationale Gerechtigkeit anzustreben.

Tweet von Amnesty International:

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"Die Menschenrechtslage in Afghanistan verschlechtert sich rasant. Die erbarmungslosen Menschenrechtsverstöße der Taliban gehen Tag für Tag weiter", sagte Agnès Callamard, die internationale Generalsekretärin von Amnesty International.

"In letzter Zeit wurden Personen, die sich in der Öffentlichkeit kritisch über die missbräuchlichen Vorschriften der Taliban geäußert haben, ohne Angabe von Gründen festgenommen. Außerdem schränkten die Taliban weiterhin die Rechte von Frauen und Mädchen ein. Sie konnten Angehörige der ethnischen Hazara gezielt töten, ohne dafür belangt zu werden. Es ist offensichtlich, dass die Taliban weder bereit noch imstande sind, Handlungen ihrer Mitglieder zu untersuchen, die die Menschenrechte der afghanischen Bevölkerung schwer verletzen. Auch wenn der Sonderberichterstatter unter extrem schwierigen Bedingungen weiter wertvolle Arbeit leistet, ist jetzt mehr erforderlich, um die Menschenrechtsverstöße in Afghanistan zu dokumentieren. Dazu muss dringend eine Ermittlungsmission eingerichtet werden, die sich auf das Sammeln und Sichern von Beweisen konzentriert, um für Gerechtigkeit zu sorgen."

In einer neuen öffentlichen Stellungnahme fordert Amnesty International die Schaffung einer Ermittlungsmission oder eines unabhängigen Untersuchungsmechanismus, ähnlich wie die bereits bestehenden in Ländern wie Äthiopien, dem Iran und Myanmar. Ein solcher Mechanismus sollte mit einem mehrjährigen Mandat ausgestattet werden. Es müssen Mittel bereitstehen, um für die im ganzen Land verübten Menschenrechtsverletzungen und -verstöße Beweise zu finden, zu sammeln und zu dokumentieren.

Der UN-Sonderberichterstatter ist prinzipiell damit betraut, Menschenrechtsverstöße zu dokumentieren. Ein zentraler Beitrag dieses neuen Mechanismus besteht darin, die Fakten und Umstände schwerwiegender Verstöße aufzuklären, potenzielle Straftäter*innen zu identifizieren sowie für die zukünftige strafrechtliche Verfolgung im Rahmen der internationalen Gerichtsbarkeit Beweise zu sichern. Ein solcher Mechanismus ist unerlässlich, um zu gewährleisten, dass Straftaten nach dem Völkerrecht sowie Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan nicht der internationalen Überprüfung entgehen. Er soll gewährleisten, dass alle diejenigen, die strafrechtlicher Verantwortung verdächtig sind, in fairen Gerichtsverfahren vor ordentlichen Zivilgerichten oder internationalen Strafgerichten zur Rechenschaft gezogen werden.

Instagram-Beitrag von Amnesty International:

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Jüngste Festnahmewelle

Nachdem die Taliban im August 2021 die Kontrolle über Afghanistan übernommen hatten, erklärten sie, die Menschenrechte in Afghanistan wahren und respektieren zu wollen. Amnesty International hat jedoch seit damals wiederholt von Taliban verübte Verbrechen gegen das Völkerrecht sowie Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.

Zu den jüngst Festgenommenen zählen: die Frauenrechtlerin Narges Sadat, Professor Ismail Mashal, ein Verfechter von Bildung für Frauen, der Bürgerrechtler Fardin Fedayee, der Autor und Aktivist Zekria Asoli, der afghanisch-französische Journalist Mortaza Behboudi, der frühere Senator Qais Khan Wakili und der afghanische Journalist Muhammad Yar Majroh.

Amnesty International davon aus, dass lediglich Professor Mashal inzwischen wieder freigekommen ist. Bei vielen Inhaftierungen gibt es keine Informationen über den Grund für die Festnahme der betreffenden Personen, und deren Aufenthaltsort bleibt häufig unbekannt, was dem Verschwindenlassen gleichkommt.

Neue Beweise für Verbrechen in Pandschschir

Nach wie vor gibt es Menschenrechtsverstöße gegen Zivilpersonen in Pandschschir – darunter Entführungen und Verschwindenlassen. Der Konflikt zwischen den Taliban und der Nationalen Widerstandsfront von Afghanistan (NRF) hält an.  

Das Crisis Evidence Lab von Amnesty International hat Fotos und Videos von mindestens acht Vorfällen für authentisch erklärt, die zwischen Mai und August 2022 in den Sozialen Medien gepostet worden waren. Darauf zu sehen ist, wie große Gruppen von Männern in Pandschschir willkürlich von den Taliban festgenommen und ohne Gerichtsverfahren inhaftiert werden. Insgesamt zeigen diese Videos mindestens 87 Personen in verschiedenen Stadien des Inhaftierungsprozesses, die meisten von ihnen mit gefesselten Händen. In einem Video erklärt ein Kämpfer der Taliban: "Wenn es nach mir ginge, würde ich sie gleich hier töten."

Zeug*innen berichteten, wie die Taliban nach Zusammenstößen mit der NRF in Pandschschir Zivilpersonen festnahmen.

Ein Zeuge sagte zu Amnesty International: "Von der Moschee aus verkündeten sie über Lautsprecher, dass sie ein Treffen abhalten. Als sie [die Männer] sich versammelt hatten, fesselten sie ihnen die Hände mit ihren Taschentüchern. Sie schlugen mit den Gewehrkolben auf Menschen ein. Sie nahmen Menschen fest, die nicht einmal ein Messer hatten. Die Taliban hatten einen Monat zuvor alle ihre Waffen eingesammelt. Das Dorf Dan-i-Rivat besteht aus etwa 50 Häusern. All diese Männer [die sich versammelt hatten] wurden mitgenommen."

Das Bild zeigt Männer auf einem Pick-Up-Truck mit Waffen

Taliban patrouillieren am 15. August 2021 in der afghanischen Hauptstadt Kabul.

Hartes Durchgreifen gegen Frauen und Mädchen sowie Angriffe auf ethnische Minderheiten

Amnesty International hat in drei Fällen Massentötungen von Hazara durch Streitkräfte der Taliban untersucht – in den Provinzen Ghazni, Ghor und Daikondi – die Kriegsverbrechen gleichkommen könnten. In allen drei Fällen haben die De-facto-Behörden der Taliban in Afghanistan weder Ermittlungen eingeleitet noch die Tatverdächtigen zur Rechenschaft gezogen.

In einem im Juli 2022 veröffentlichten Bericht dokumentierte Amnesty International, wie die Leben von Frauen und Mädchen in Afghanistan durch die brutalen Übergriffe der Taliban auf ihre Menschenrechte zerstört werden. Seit die Taliban im August 2021 die Kontrolle über das Land übernommen haben, haben sie das Recht von Frauen und Mädchen auf Bildung, Arbeit und Bewegungsfreiheit verletzt. Sie haben das Schutz- und Unterstützungssystem für Frauen, die vor häuslicher Gewalt fliehen, massiv reduziert. Frauen und Mädchen werden wegen geringfügiger Nichteinhaltung diskriminierender Vorschriften inhaftiert. Die Zahl von Kinder-, Früh- und Zwangsehen in Afghanistan ist deutlich angestiegen.

Im November 2022 nahmen die Taliban willkürlich drei prominente Menschenrechtsverteidigerinnen wegen ihres friedlichen Engagements fest: Zarifa Yaqoobi, Farhat Popalzai und Humaira Yusuf sowie deren Kolleg*innen. Im Dezember 2022 hinderten die Taliban Frauen "bis auf Weiteres" daran, Universitäten zu besuchen. Sie wiesen sämtliche einheimischen und ausländischen NGOs an, "bis auf Weiteres" keine weiblichen Mitarbeitenden mehr zu beschäftigen. Laut den Vereinten Nationen und humanitären Hilfsorganisationen wird Millionen Frauen und Kindern die humanitäre Hilfe entzogen, wenn dieses Verbot gegenüber den NGOs nicht unverzüglich aufgehoben wird.

"Es ist höchste Zeit, dass die internationale Gemeinschaft ihren wiederholten öffentlichen Erklärungen konkrete Taten folgen lässt", sagte Agnès Callamard.

"Die internationale Gemeinschaft sollte schleunigst eine mit einem UN-Mandat ausgestattete internationale Ermittlungs- und Beweissicherungsmission einrichten, um unabhängige Ermittlungen und strafrechtliche Verfolgungen zu ermöglichen. Die aktuelle Rechenschaftslücke ermöglicht, dass in Afghanistan unvermindert weiter schwere Menschenrechtsverletzungen und -verstöße verübt werden, und muss daher dringend geschlossen werden."

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